Ernst J. Petras - Skulpturen und Zeichnungen

 

Portrait Ernst J. Petras

 

„It’s never too late“

verschiedene Metalle, 125 x 125 cm, 2024

Rede von Jörg Wunderlich, Halle (Saale) zur Vernissage 8.9.2024 um 15 Uhr (gekürzt)

BEIRUT - BERLIN - CARACAS
Altenau 04
Ateliers & Galerie
ERNA & Paul Böckelmann
04931 Mühlberg/OT Altenau


Ernst Petras kam in einer Phase des Wiederaufbaus in die Metropole Beirut (2009), das kulturelle Leben expandierte wieder, die Zahl der Galerien stieg kontinuierlich. Trotzdem hatte so etwas wie Normalität im Alltag in dieser Zeit keine Chance, ebenso wenig wie heute …

In dieser existenziellen Situation besann sich Ernst Petras auf eine einzige Elementarform, er fokussierte sich in seiner Arbeit ausschließlich auf das Quadrat. Ein innerer Impuls, vielleicht eine ästhetische Zuflucht. Mir erscheint das sehr nachvollziehbar. Diese Form in ihrer ausgeglichenen Statik und Symmetrie wirkt geradezu unantastbar stabil. Das Quadrat hat so etwas wie eine zwingende faktische Kraft, etwas Manifestes, etwas an dem nicht weiter gerüttelt werden kann. Ungerichtet und universell ruht das Quadrat in sich selbst, etwas geradezu Überirdisch Perfektes zeigt sich ganz augenscheinlich im Hier und jetzt. Dieses Perfekte kommt so in der Natur nicht vor - von ganz wenige Ausnahmen im kristallinen Bereich abgesehen. Wollen wir ein Quadrat erschaffen, müssen wir es konstruieren, denn das Quadrat ist eine Idee. Am Quadrat erleben wir Menschen am stärksten unseren eigenen reflektierenden Geist, der diese Form leicht aus einer chaotischen Umwelt herausfiltert, sie dechiffrieren kann, sie erkennt und liest. Das Quadrat schaut uns an. ...

Während in manchen indigenen Kulturen der ganze Kosmos als quadratisch angesehen und dargestellt wurde, steht es im christlichen Kontext für das Irdische, die Erde. In der christlichen Ikonografie gibt es Darstellungen mit quadratischem Heiligenschein anstatt des Runden. Damit wollte man ausdrücken, dass diese Figur noch nicht dem Himmelreich angehörte sondern hier unten wandelte. …

Quadratische Kuben waren für ihn in Beirut der Ausgangspunkt, diese Würfel begann er irgendwann zu zerschneiden, sie aufzubrechen – als gegenteiligen Prozess zum konstruktiven Erschaffen. Und das dabei entstehende immer noch quadratische Fragment-Material fügte der Künstler in ungeordneter Vertikalität zu turmartigen Plastiken, den Cube Towers. Jedes einzelne Segment immer noch ein stabiles Quadrat, im Ganzen aber eine brüchige Dynamik ausrückend – es geht nicht länger aufwärts, der Turm stürzt ein, kann man assoziieren. …

Ein zweiter längerer Auslandsaufenthalt schloss sich an, Caracas in Venezuela (2014) – erneut eine unsichere und politisch instabile Metropole und mindestens ebenso interessant. Wieder reiste er zunächst privat und fand wiederum hervorragende Arbeitsbedingungen, vor Ort wurde er eingeladen in einem Kunstzentrum mit angeschlossenen Ateliers quasi wie ein Artist in residence – zu arbeiten und auch in einem Museum für zeitgenössische Kunst auszustellen. In Caracas entstanden viele weitere Plastiken aus quadratischen Segmenten – die Cut Cubes.

Nun also keine Türme, sondern wiederum kubische Formen, aber nicht geschlossen, sondern aus den quadratischen Schnittfragmenten zu neuen ungerichteten chaotischen Clusterungen zusammengesetzt – die Linien überschneiden und durchdringen sich – dynamisieren den leeren Raum den sie als Rahmen umschließen, ermöglichen eine Fülle von Blickbezügen zwischen Plastik und dem sie umgebenden Raum.

Der umschlossene leere Raum – das Nichts - wurde für Ernst Petras zum bestimmenden Thema in der weiteren Arbeit am und mit dem Quadrat. Nach der Rückkehr nach Deutschland entstanden Arbeiten die er mit Nix Cubes betitelte.

Das Quadrat hat eben auch das Potenzial uns mit der Leere zu Konfrontieren. …

Eine dritte Gruppe von Werken möchte ich ansprechen. Nach den Türmungen und Schichtungen schuf Ernst Petras auch ausladende luzide Kugelformen aus vielen miteinander verwobenen Rundstahl-Quadraten, in der Mitte dieser Kugelform (Globe Cube) leuchtet ein schief gestelltes Parallelogramm, das wir unschwer als Hashtag-Raute erkennen. Dieses ein sehr eindrückliches Bild – für die verzahnte und rhizomartig verbundene Weltgesellschaft, die sich mächtige Kommunikationstechnologien erschafft, von der sie dann beeinflusst, gelenkt und auch beherrscht wird. …